Tausend Übersetzer. Millionen Wörter. Durchlaufzeiten von wenigen Stunden. Über einhundert Sprachen.
Beeindruckende Zahlen, die ein „ausgereiftes“ Lokalisierungsprogramm vermuten lassen, dass das Markenimage erfolgreich in alle Welt trägt und kontinuierliche Prozessverbesserungen einschließt. Im Idealfall ermöglicht ein derartiges Programm vorausschauendes Handeln und reproduzierbare Ergebnisse, während das Unternehmen – und damit auch die Content-Menge – stetig wächst. Exemplarisch seien hier die Lokalisierungsprogramme von Microsoft und Oracle genannt.
Doch gehen wir einen Schritt zurück. Falls Sie gerade vorhaben, Ihr Lokalisierungsprogramm zu optimieren, werden Sie sich sicherlich fragen, wie aufwendig dies sein wird. Wie nur lassen sich große, komplexe Projekte verwalten? Wie wirkt sich ein kontinuierliches Lokalisierungsmodell auf die Produktionsteams aus? Wie gelingt bei stetig wachsenden Volumen der Übergang vom Wasserfallmodell zu einem agilen Ansatz? Und wie haben erfolgreiche Technologieriesen all dies bewältigt?
Eine pauschale Antwort auf diese Fragen gibt es nicht, da die Lokalisierung einem ständigen Wandel unterliegt. Dennoch kann man von erfolgreichen Beispielen einiges lernen. Hier präsentieren wir Ihnen aktuelle Trends, die auf den Erfahrungen einiger unserer Kunden beruhen.
Neue Herausforderungen
Ein kontinuierliches Unternehmenswachstum und eine steigende Kundennachfrage stellen Lokalisierungsprojekte vor einige Herausforderungen, auf die adäquat reagiert werden muss. Nachfolgend einige Beispiele:
- Das Volumen wächst explosionsartig. Je mehr internationale Zielmärkte bedient werden, desto mehr Sprachen, Wörter und Projekte sind zu bewältigen. Deshalb verzichten globale Unternehmen immer häufiger auf ein internes Übersetzerteam und lagern die wachsenden Volumina lieber an mehrere Sprachdienstleister aus.
- Der Zeitdruck hat zugenommen. Die Zeiten monatlicher oder vierteljährlicher Projekte mit großzügigen Fristen sind längst vorbei. Heutzutage werden täglich neue Projekte vergeben, Lieferziel: mitunter noch am selben Tag.
- Die Produkte haben sich verändert. Digitale Produkte müssen heute auf allen möglichen Geräten funktionieren. Dies wirkt sich auch in bestimmten Phasen von Lokalisierungsprojekten aus, etwa bei der Bestimmung der Funktionsanforderungen oder beim anschließenden Test.
- Das Konsumverhalten ist heute anders. In einer Zeit, in der sich fast alles online erledigen lässt, geht man seltener zur persönlichen Beratung ins Fachgeschäft. Dafür können Produkte sofort ausgeliefert und benutzt werden.
- Kunden stellen andere Anforderungen. Kunden sind heute ungeduldiger – das neue Update wird morgen erwartet, nicht in sechs Monaten.
- Kundenorientierung ist wichtiger denn je. Vielen Unternehmen ist Kundenorientierung im positiven Sinne regelrecht zur Obsession geworden – „Customer Obsession“ heißt das Schlagwort. Bemaß sich die Qualität früher noch an der Zahl der gefundenen Produktschwächen und der Einhaltung von Fristen, werden Produkte jetzt von vornherein aus der Kundenperspektive gedacht und entwickelt.
Dies sind die anspruchsvollen Rahmenbedingungen, unter denen Sprachdienstleister (LSPs) heute bestehen müssen – keine leichte Aufgabe, aber durchaus lösbar. Auch Unternehmen mit weit fortgeschrittener Lokalisierungserfahrung bewegen sich auf diesem Niveau.
Wie Dienstleister auf sich wandelnde geschäftliche Anforderungen reagieren
Wandelt sich ein Unternehmen rasch und tiefgreifend, wie es derzeit vielfach im Rahmen der agilen und digitalen Transformation der Fall ist, müssen auch die Dienstleister, die mit diesem Unternehmen zusammenarbeiten, ihre Arbeitsweise schnell und grundlegend anpassen. Wie das geht? Damit hat sich Ivan Lukavsky, Senior Program Director bei RWS Moravia, auseinandergesetzt.
Zunächst einmal muss die gesamte Produktion auf die neuen Herausforderungen eingestellt werden, damit eine kontinuierliche Lokalisierung möglich wird. Dies kann beispielsweise so geschehen:
- Speziell entwickelte automatische Engineering-Checks helfen die Arbeit zu beschleunigen und Fehler zu vermeiden. Diese Checks können die ganze Zeit im Hintergrund laufen. Sie erkennen Fehler, die die Produktfunktionalität oder das Benutzererlebnis beeinträchtigen könnten.
- Bereits lokalisierte Inhalte werden wiederverwendet, was Produktivitäts- und Kostenvorteile bietet. Dadurch muss nur noch ein geringer Teil der Textmenge von Menschenhand bearbeitet werden.
- Es werden neue Qualitätsmodelle entwickelt. Kürzere Durchlaufzeiten bergen ein erhöhtes Qualitätsrisiko. Daher müssen Qualitätsprozesse umgehend greifen – in Stundenschnelle.
Bei einigen Unternehmen können sich auch verschiedene Elemente des Geschäftsmodells erheblich ändern, darunter:
- Vendor Relations: Lieferanten sind nicht mehr bloß Rädchen im Getriebe, sondern Partner, die eine Dienstleistung erbringen. Sie übernehmen die Verantwortung für das gesamte Projekt statt nur für einzelne Dateien. Der Dienstleister genießt damit mehr Freiheit, während der Kunde Verwaltungsaufwand spart. Aufträge unterliegen einem Service Level Agreement (SLA), und der Qualitätsschwerpunkt liegt nun auf einer soliden Gesamtleistung, nicht mehr nur auf einzelnen Transaktionen.
- Verwaltungsmethoden: Die Projektqualität wird nicht mehr an Fehlerzahlen und Lieferfristen gemessen, sondern an KPIs wie Durchlaufzeit, Volumen und Kosten. Ein besonders interessanter KPI misst übrigens die Interaktionen mit dem Ziel, das E-Mail-Aufkommen und Meetings zu reduzieren. Projekte lassen sich heute am besten mithilfe von Dashboards verwalten, die einen Überblick über das gesamte Programm statt nur über einzelne Projekte geben. Die Zeiten von Excel-Statusberichten sind vorbei.
- Teameinstellung und -kultur: Projektmanager im Bereich Lokalisierung sind in eine neue Rolle hineingewachsen und nun Teil der Geschäftsstrategie. Angesichts der ständigen Veränderungen bei Lokalisierungsprojekten wird von ihnen Kreativität und Flexibilität erwartet. Reaktionsschnelligkeit ist ohnehin das A und O. Außerdem haben Projektmanager die Aufgabe, neue, innovative Prozesse voranzutreiben, anstatt sich starr an altgewohnte Abläufe zu halten.
- Leistungsmessung: Bei Lokalisierungsprojekten mit konsequenter Kundenorientierung werden Erfolg und Qualität nicht mehr an Fehlerquoten gemessen, sondern an der Wahrnehmung des Produkts durch den Endanwender. Jede Beschwerde gilt daher als ernstzunehmendes Problem, dem höchste Priorität einzuräumen ist. Übrigens ist Qualitätssicherung heute eine Gemeinschaftsaufgabe: Auch der externe Dienstleister hat stets ein Ohr an der Zielgruppe und trägt so dazu bei, deren Anforderungen optimal zu erfüllen.
Die Zukunft der agilen Zusammenarbeit
Wohin wird die Reise gehen? Derzeit ist nicht abzusehen, dass sich die Entwicklung von Lokalisierungsprojekten entschleunigt. Die Frage lautet daher nicht, wann, sondern welche neuen Herausforderungen und Schwierigkeiten auf uns zukommen werden – und darüber können wir höchstens Vermutungen anstellen. Zunächst wird wohl die Bedeutung des Crowdsourcings zunehmen. Im Rahmen des Crowdsourcings können beispielsweise Studenten zur Fehlervalidierung und Qualitätssicherung eingesetzt werden.
Selbstverständlich wird es mehr maschinelle Übersetzung geben, schließlich bietet sie schon heute Produktivitätsvorteile, gerade bei großen Textmengen und knappen Fristen. Aber auch das maschinelle Lernen dürfte für andere Aspekte der Lokalisierung immer wichtiger werden, etwa in den Bereichen Content-Auswahl und Qualitätsmanagement.
Und zu guter Letzt ist davon auszugehen, dass sich die Zusammenarbeit von Kunde und Dienstleister noch stärker als bisher ineinander verschränken wird. Beide können nicht mehr losgelöst voneinander arbeiten. Damit sich zunehmend komplexe Projekte im großen Stil planen lassen, bedarf es eines hohen Maßes an Kreativität, Flexibilität und Verantwortung auf Seiten des Dienstleisters.
In unserem Blog berichten wir weiterhin darüber, wie sich Kundenanforderungen und Lokalisierungsmodelle entwickeln – schauen Sie also am besten regelmäßig hier herein! Und wenn Sie Rat benötigen, wie Sie Ihr Lokalisierungsprogramm voranbringen können, stehen wir Ihnen gern zur Seite.