Interview mit einer Expertin für Transkreation

Sie sind im internationalen Marketing tätig und versuchen, Ihre Marke in neuen Märkten einzuführen. Immer wieder hören Sie von Trans­kreation als passende Methode. Doch wann wird sie eingesetzt? Wie unter­scheidet sie sich von Übersetzung? Und weshalb kostet sie so viel? Diese und andere Fragen klärte ich in einem Gespräch mit der Trans­kreations­expertin Ellen Bonte. Hier können Sie unser Gespräch nachlesen.

Lee: Der Unterschied zwischen Transkreation und Marketing­übersetzungen ist vielen nicht klar. Kannst du dazu etwas sagen?

Ellen: In der Spanne der Möglichkeiten steht Über­setzung an dem einen Ende und Transkreation am anderen. Auf der Übersetzungs­seite steht die Bedeutung, auf der Transkreations­seite stehen Wirkung und Emotionen. Die Übersetzung von Marketing­texten ist in der Mitte angesiedelt.

Übersetzung ist eher eine Wort-für-Wort-Übertragung. Bei der Marketing­übersetzung kommt zudem ein gewisses Maß an Kreativität hinzu, um in der Ziel­sprache gleichwertige Rede­wendungen und Wort­spiele zu finden. Man kann vom Ausgangs­text abweichen, führt aber immer noch eine Über­setzung durch. Es geht darum, Äquivalente zu finden. Transkreation ist tief­greifender: Man zerlegt den Text und schreibt ihn neu, sodass die darin enthaltene Emotion und Botschaft zur jeweiligen Sprache oder Kultur passen. Hier stehen weniger die Worte im Vordergrund als vielmehr Konzepte. Bei der Transkreation löst man sich vom Ausgangs­text und schreibt den Text neu. Möglicherweise muss alles von Grund auf neu formuliert werden.

Außerdem eignet sich Transkreation eher für kurze, knappe Texte wie Überschriften und Slogans. Solche Texte sind in der Regel etwas kreativer als längere Texte wie zum Beispiel Web-Content.

Lee: Deine Formulierung „zerlegen“ beschreibt das Wesen der Trans­kreation sehr gut. Ich verstehe darunter, dass etwas aus­einander­genommen und neu zusammengesetzt wird.

Ellen: So ist es, aber man muss wissen, dass die Grenze zwischen Transkreation und Marketing­übersetzung fließend sein kann. Ein Auftrag kann eine Mischung aus beiden sein. Ich zum Beispiel kümmere mich um Websites. Bei dieser Arbeit kann Trans­kreation zum Zuge kommen, aber sie umfasst auch Marketing­übersetzung. In den Über­schriften kann ich freier vorgehen – Transkreation –, doch bei bestimmtem Content, wie einem Absatz, ist eine sehr idiomatische, prägnante Abfolge von ausdrucks­starken Sätzen nötig. Das ist dann eher Marketingübersetzung.

Lee: Wie läuft ein typischer Transkreationsauftrag ab?

Ellen: Normalerweise erhalte ich den Ausgangstext mit allen grafischen Elementen. Häufig bekomme ich auch einen Styleguide, eine Branding-Richtlinie oder ein Kreativ-Briefing. Als Nächstes recherchiere ich alle Informationen dieser Briefings. Ich muss mich genauestens mit der Marke vertraut machen. Am wichtigsten ist es, ein Gefühl für die Formulierungs­wünsche des Kunden – anders gesagt, der Marke – zu entwickeln. Darüber hinaus recherchiere ich Branchen- und Mitbewerber­informationen. Zu Beginn kann das durchaus einige Stunden in Anspruch nehmen.

Dann überlege ich mir möglichst viele Varianten für meinen Markt – manchmal sind es mehr als 20. Im Gegensatz dazu erstellt man bei der Übersetzung nur eine Version.

Manchmal hole ich mir auch bei einem Kollegen Rückmeldung – der Blick eines anderen kann sehr nützlich sein.

Nach dem Brainstorming wähle ich die besten drei Varianten aus. Die erhält der Kunde von mir zusammen mit einer Rück­übersetzung und einer Begründung für jede Version, die meinen Ansatz verdeutlicht. Ich biete dem Kunden immer eine Version an, die recht nah am Ausgangs­text ist, eine etwas originellere und eine, die sehr weit entfernt vom Ausgangs­text ist, also noch deutlich origineller. Ich sage dem Kunden, welche Option ich bevorzuge und wieso, und erläutere ihm meinen Arbeitsprozess im Detail.

Lee: Welche Heraus­forderungen stellt diese Arbeit? Wo kommst du – oder andere Transkreations­profis – nicht weiter?

Ellen: Transkreatoren können es auch übertreiben. Sie können zu kreativ werden. Es ist nicht leicht, kreativ zu sein und sich trotz­dem ans Briefing zu halten. Man muss auf­passen, nicht seinen eigenen Stil anzuwenden. Man muss den Stil des Kunden adaptieren.

Außerdem muss man die neuesten Wendungen kennen und wissen, wie sich die Menschen aktuell aus­drücken. Man muss beide Sprachen sehr gut beherrschen.

Und schließlich muss man auch die Ziel­gruppe genau kennen. Was sind die Über­zeugungen dieser Menschen? Wie verhalten sie sich? Das muss recherchiert werden. Und oft erhalte ich von Kunden Informationen zu den Käufer­zielgruppen.

Lee: Warum wird Transkreation pro Stunde bezahlt?

Ellen: Weil einem nicht einfach so gute Ideen kommen! Man muss sie sich wirklich erarbeiten. Das heißt: experimentieren, unter­schiedliche Ansätze aus­probieren, den Slogan speziell formulieren. Man muss seinen Gedanken freien Lauf lassen und daraus mehrere Ideen entwickeln.

Manchmal findet sich leicht eine gute Idee, die zum Ausgangs­text passt – wenn das ursprüngliche Konzept schon recht geeignet ist für den Zielmarkt. In anderen Fällen arbeitet man mit einem tollen Slogan, der aber so originell oder regional auf den ur­sprünglichen Markt geprägt ist, dass es kein Äquivalent dafür gibt. Dann ist es harte Arbeit, den richtigen Ansatz zu finden.

Lee: Ich weiß, dass du auch als Texterin arbeitest. Worin unterscheiden sich Copy Writing und Transkreation?

Ellen: Transkreation und Copy Writing sind sich sehr ähnlich. Ein Unter­schied ist die Ausgangslage. Bei der Transkreation ist das der ur­sprüngliche Content, den man frei inter­pretieren kann. Und eventuell liegt ein Branding-Leitfaden oder ein Styleguide vor. Beim Copy Writing aber wird man nur gebrieft, danach entwirft man den Content von Grund auf selbst. Das Copy Writing bietet die größte Freiheit, denn beim Texten orientiere ich mich nur an der Original­marke, andere Richt­linien gibt es nicht.

Ein weiterer Unterschied ist der Umfang: Trans­kreation umfasst kurzen Content, während das Copy Writing auch längere Texte hervorbringen kann.

Doch beides erfordert dieselben Fähigkeiten.

Lee: Was macht dir an deiner Arbeit Spaß?

Ellen: Ich kann sehr kreativ sein. Es macht Spaß, clevere Neu­formulierungen zu entwickeln. Und es ist sehr be­friedigend zu erleben, wie sich originelle Konzepte ändern, um einer be­stimmten Sprache und Kultur gerecht zu werden. Und wenn der Kunde mit der Arbeit zufrieden ist, ist das auch sehr befriedigend!

Lee: Wie hast du gelernt, so zu arbeiten?

Ellen: Ich habe es einfach gemacht und dabei gelernt. Angefangen habe ich als Texterin. Eines Tages arbeitete eine Freundin an einem Transkreations­projekt und sie brauchte Unter­stützung bei der Arbeit vom Englischen ins Deutsche. Sie fragte mich, ob ich auf diese Art von Arbeit Lust hätte. Die Zusammen­arbeit mit diesem Kunden war fantastisch und ich sammelte Erfahrung bei der Arbeit mit zahlreichen äußerst bekannten Unternehmen. Damit fing es an und seitdem läuft es!

Lee: Vielen Dank, Ellen, für deine Einblicke in die Welt der Transkreation!

 

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