Erstellung von Content für Zielgruppen mit geringerer Lesekompetenz

Marken verwenden viel Zeit und Aufwand darauf, die globale Wahr­nehmung ihrer Marke strategisch zu planen. Auch in die Er­stellung von Support-Content für Pro­dukte fließt viel Zeit und Geld, denn Kunden sollen diese Pro­dukte optimal nutzen können. Doch wie geht man ei­gentlich vor, wenn die Ziel­gruppe gar nicht lesen kann? Woher wissen lese­unkundige Käufer, wofür die Marke steht oder welches Produkt für sie infrage kommt?

Wenn Sie in einen neuen Markt ein­steigen, sollten Sie sich zuvor gründ­lich mit den demo­grafischen Daten Ihrer künftigen Ziel­gruppe ver­traut machen. Dass dazu auch die Alpha­betisierungs­rate ge­hören sollte, klingt wie eine Selbst­verständlichkeit, dennoch wird dieser Punkt oft über­sehen, da Unter­nehmen hier feste Vorannahmen haben.

Auch direkt vor der eigenen Türschwelle

Dem UNESCO-Institut für Statistik zufolge gibt es welt­weit fast 800 Millionen er­wachsene An­alphabeten. Lese- und Schreib­fähigkeit ist definiert als die „Fähigkeit, ge­druckte und ge­schriebene Materialien in unter­schiedlichen Zusammen­hängen zu er­kennen, zu ver­stehen, zu inter­pretieren, zu er­stellen und mit deren Hilfe zu kommunizieren und zu rechnen“.

Aber niedrige Alphabetisierungsraten gibt es ja ohnehin nur in Entwicklungs­ländern wie Niger, wo lediglich 19 % der er­wachsenen Be­völkerung lesen und schreiben können, oder? In Dritte-Welt-Ländern mit schwachem Bildungs- und Gesundheits­wesen, knappen Beschäftigungs­möglichkeiten, wenig ent­wickelter Wohn­infrastruktur und in jedem Falle ohne WLAN, oder?

Keineswegs.

In den USA sind laut Zahlen des National Center for Educational Statistics (NCES) 43 Millionen Menschen – 21 % aller Erwachsenen – funktionale Analphabeten. Die World Literacy Foundation fand heraus, dass in Großbritannien jeder fünfte Er­wachsene Schwierig­keiten hat, die Auf­schrift einer Arznei­mittel­verpackung zu lesen.

Bilder sagen mehr als Worte

Wer jemandem ver­ständlich machen möchte, wie man einen Schlips bindet, kann dies entweder wortreich erklären oder einfach zu dieser Abbildung greifen:

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Auch wenn es hier nur um einen Krawatten­knoten geht, gilt dasselbe im Grunde für jede Art der Kommunikation – insbesondere dann, wenn die Ziel­gruppe nicht (gut) lesen kann.

Wenn Sie also eine Zielgruppe mit geringen Lese­kenntnissen an­sprechen möchten, sollten Sie sich in An­leitungen, Inter­aktionen oder Marketing-Materialien möglichst kurz fassen. Visuelle Elemente sind aller­dings nicht nur für funktionale An­alphabeten leichter ver­ständlich: Jeder Mensch kann bildliche Informationen schneller auf­nehmen und länger im Ge­dächtnis speichern. Hinzu kommt, dass eine bild­liche Dar­stellung die Ziel­gruppe viel mehr an­spricht, da sie den Sach­verhalt dann durch die Augen der handelnden Akteure sehen und – das wichtigste Argument über­haupt – sich in deren Lage ver­setzen und selbst ent­scheiden kann. Der Ziel­gruppe wird keine gedankliche Struktur auf­gezwungen, vielmehr entfaltet sich die Story im wört­lichen Sinne vor ihren Augen, sodass sie eine eigene Perspektive ent­wickeln kann. Das Resultat ist eine emotionale Ansprache.

Ein weiterer Vorteil von visuellem Content ist, dass er den Teil des Gehirns an­spricht, der für Emotionen zuständig ist. „Das emotionale Gehirn ver­arbeitet Sinnes­reize in einem Fünftel der Zeit, die der kognitive Teil unseres Gehirns braucht, um dieselbe Menge an In­formationen auf­zunehmen“, erklären die Marken­experten von Branding Strategy Insider. An­gesichts dessen, dass Kunden – unabhängig von ihrer Lese­kompetenz – tendenziell immer weniger Zeit für Ihren Marketing-Content auf­bringen, macht es einen Unter­schied ums Ganze, ob Sie Ihre Bot­schaft in zehn oder zwei Sekunden ver­mitteln können.

Sehen wir also der Wahrheit ins Auge: Unser Gehirn will Bilder. 90 % der Informationen, die das mensch­liche Gehirn auf­nimmt, sind visueller Natur und Bilder werden 60.000-mal so schnell ver­arbeitet wie Text. Folglich können wir visuelle Dar­stellungen, ungeachtet unserer Lese­kenntnisse, schlicht schneller auf­nehmen und leichter im Ge­dächtnis behalten – und die Lo­kalisierungs­kosten sind obendrein auch günstiger.

Bilder sparen bares Geld

Visuelle Darstellungen haben überdies den Vorteil, das sie nicht so oft über­arbeitet werden müssen wie Text, sodass Kosten für den Über­prüfungs- und Neu­formattierungs­aufwand ent­fallen. Außerdem können Bilder beim Ein­stieg in einen neuen Markt in der Regel so über­nommen werden wie sie sind, wobei es sich dennoch em­pfiehlt, sie auf möglicher­weise kulturell anstößige Inhalte zu überprüfen.

Als Beispiel wollen wir uns ein Unter­nehmen an­sehen, dass diesen Ansatz regel­recht zur Kunstform erhoben hat.

Wer bei IKEA ein Möbelstück kauft – ganz gleich, ob es sich dabei um ein einfaches, sechs­teiliges Regal oder einen komplizierten Eck­schreibt­isch mit mehreren Ebenen und 600 Einzel­komponenten handelt –, bekommt dazu eine Montage­anleitung, die keinerlei Text enthält. Nicht ein einziges Wort! Zweifels­ohne dürfte diese Einfach­heit ein Grund dafür sein, warum das schwedische Unter­nehmen in 52 Ländern mit Filialen vertreten und zum welt­größten Möbel­händler geworden ist.

Produkt­handbücher und An­leitungen, die ohne Text aus­kommen, funktionieren gut, weil die meisten Produkte rund um den Erd­ball auf die­selbe Art und Weise ver­wendet werden. Beispielsweise ist die Vor­gehens­weise zum Montieren von Selbst­baumöbeln überall gleich, folglich können auch die Ab­bildungen überall gleich sein, selbst wenn Text für einzelne Märkte und Rechts­räume aktualisiert oder über­setzt werden muss.

Ein ganz anderes Thema sind aller­dings Ver­packungen, marken­spezifischer Content und Werbe­inhalte, denn bei Texten dieser Art geht es darum, Emotionen hervor­rufen und die Ziel­gruppe zu einer be­stimmten Handlung zu be­wegen. Hier kann es durchaus öfter vor­kommen, dass auch nonverbale Elemente an­gepasst werden müssen, damit sie in der Ziel­kultur besser ankommen.

So gab es den Fall eines Herstellers von Babynahrung, der auf seine Produktverpackungen ein niedliches, gesundes Kleinkind druckte. Als Symbolbild war diese Ab­bildung in den meisten Kulturen bestens ge­eignet, um für das Produkt zu werben. Doch dann ex­pandierte das Unter­nehmen in ein Entwicklungs­land mit niedriger Alphabetisierungs­rate, in dem Marken in der Regel das Produkt selbst auf der Ver­packung abbilden, also Bohnen auf einer Gemüse­konserve, einen Fisch auf einer Thunfisch­dose, ein Schwein auf einer Packung Speck oder Schinken, ein Baby auf … Und da war der Imageschaden.

Lokal agieren, aber global denken

Worauf wollen wir also hinaus? Eigentlich sollte die Bot­schaft selbst­verständlich sein: Recherche ist stets un­erlässlich, aber wenn selbst große, globale Marken derart daneben­liegen können, kann dies anderen auch passieren.

Microsoft startete in Polen eine Werbe­kampagne mit einer Ab­bildung, die Menschen unter­schiedlicher Haut­farbe bei einem Meeting zeigte. Da es in Polen aber nur sehr wenige Schwarze gibt, ent­schied Microsoft, dass diese Personen­gruppe vor Ort nicht re­präsentiert sein müsse. Das Unternehmen ersetzte daher den einzigen Schwarzen im Bild durch einen Weißen. Als sich diese Ent­scheidung herum­sprach, zog dies Reaktionen nach sich, die dem welt­weiten An­sehen der Marke einigen Schaden zufügte.

Ganz ohne Text geht es nicht, oder?

Mitunter braucht man keinen Text, um eine Bot­schaft zu ver­mitteln. Sollte aber zur Klar­stellung doch Text er­forderlich sein, empfiehlt es sich, diesen einfach zu halten. So einfach wie möglich. Weniger ist mehr.

Diesen Rat würden Marken-, Marketing- oder Kommunikations­berater wahr­scheinlich jedem geben – dem neuen Praktikanten ebenso wie einer CEO mit vierzig Jahren Berufs­erfahrung.

In Märkten mit niedriger Alphabetisierungs­rate sind Ab­bildungen nicht bloß relevanter als Texte – wie wir oben gesehen haben, sind sie immer relevant –, sie sollten die wichtigste Über­legung überhaupt sein.

Für eine Ziel­gruppe mit einem hohen Anteil Lese­unkundiger Texte zu ver­fassen, ist schlicht ver­gebliche Liebes­müh. Davon ab­gesehen sind Kunden in Ländern mit hoher Analphabeten­quote nonverbale Kommunikation ge­wohnt. Es ist also keine­swegs so, dass sie sich auf etwas Neues ein­stellen müssten – im Gegenteil, Ihr Unter­nehmen greift damit lokale Kon­ventionen auf, was die Chance er­höht, dass Ihre Bot­schaft ankommt. Ganz un­abhängig von der eigenen Lese­fähigkeit werden sich Kunden eher für eine Marke be­geistern können, die so mit ihnen kommuniziert, wie sie es gewohnt sind.

Eine häufige Ausnahme von dieser Regel be­trifft Pharmazie- oder Medizin­unternehmen, die sich mit Text­botschaften recht­lich ab­sichern müssen. In solchen Fällen sollten – im Rahmen des Möglichen – möglichst einfache For­mulierungen gewählt werden, denn letztl­ich kommt es bei Ihrem Angebot vor allem auf Verständlichkeit an.

So kommt Ihre Botschaft an

  • Mutmaßen Sie nicht. Betreiben Sie Recherche. Informieren Sie sich über den Alphabetisierungs­grad im Zielmarkt.
  • Fassen Sie sich kurz. Weniger ist mehr.
  • Schreiben Sie leicht verständlich. Also Texte mit klarer Struktur, kurzen Sätzen und einfachen Worten.
  • Bilder sagen mehr als Worte. Mit Ab­bildungen wird Ihre Botschaft deutlicher.
  • Verwenden Sie wenig Text und große Ab­bildungen.
  • Bilder sagen mehr als Worte. Dies kann man nicht oft genug sagen.

Die gute Nachricht lautet übrigens, dass die Alphabetisierung in den meisten Ländern große Fort­schritte macht. Wer lesen kann, kann sich besser in­formieren und folglich auch bessere Ent­scheidungen zum eigenen Vorteil treffen. Betrachtet man alle 7,8 Milliarden Menschen auf der Welt als Ziel­gruppe – gewagt, aber globaler geht es nicht –, lässt sich zusammen­fassen: Wir wollen weniger Text lesen und dafür mehr grafische Elemente sehen, denn so passt sich unser Gehirn dem Schritt­tempo der modernen Welt an. Und es soll ja schließlich schneller gehen – oder was denken Sie, warum Instagram und Tik Tok in kurzer Zeit so be­liebt wurden? Vor diesem Hinter­grund sollte jeder, der sich mit Marketing oder Content-Erstellung befasst, die obigen Hinweise beherzigen.